Wer forscht, publiziert. Wir stellen eine kleine Auswahl an neuen Fachbüchern vor.

HEILUNG FÜR EIN KRANKES HAUS

Sind wir in einer schizophrenen Zeitschleife gefangen? KI verbessert medizinische Befunde, und Eingriffe – wie das Einsetzen von Herzklappen – gelingen immer effektiver. Doch geht es um notwendige Unterlagen, so bleibt das Fax der beliebteste Kommunikationsweg im deutschen Gesundheitswesen. Dieses Missverhältnis beschreibt der Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner.

Wie „das beste Gesundheitssystem der Welt“ in der COVID-19-Pandemie an seine Grenzen kam, ist bekannt. Vor allem, weil analoge Prozesse wertvolle Zeit stehlen. Doch der Top-Mediziner hält sich nicht lange mit diesem düsteren Szenario auf. Ihm geht es um Lösungen. Aus eigener Erfahrung beschreibt er anschaulich, wie das Smart Hospital mit digitalen Technologien zukunftsfähig und zutiefst menschlich sein kann.

Also: Nicht weiter zögern und zaudern, denn die technische Infrastruktur ist da. Wie andere Länder zeigen – etwa Dänemark mit dem nationalen Portal sundhed.dk –, lassen sich Fragen des Datenschutzes und der IT-Sicherheit durchaus lösen.

In einem Sektor, in dem 5,5 Mio. Menschen arbeiten – fünfmal so viele wie im Automobilbereich –, sei es „allerhöchste Zeit, unser tradiertes, analoges, teilweise schon anachronistisches System in moderne Strukturen zu überführen und damit für kommende Generationen zukunftsfest zu machen. Dies erfordert Unternehmer:innengeist, den Blick über den eigenen Tellerrand und einen langen Atem oder, wie man es in der Schweiz liebevoller ausdrückt: einen langen Schnauf“, urteilt Werner.

Jochen A. Werner:
So krank ist das Krankenhaus
ISBN: 978-3-8375-2529-8

AUSGEWOGENE AUFTRAGSLAGE

Ob Schulverpflegung oder Sicherheitsdienste für Flüchtlingsunterkünfte – hierzulande werden jedes Jahr öffentliche Aufträge für über 300 Mrd. Euro vergeben; das sind zehn Prozent des BIP. Keine Kleinigkeit also und deshalb Anlass, genauer hinzuschauen. Das tun Dr. Karen Jaehrling vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) und Christin Stiehm, die mittlerweile ins Wirtschaftsministerium von Mecklenburg-Vorpommern gewechselt ist.

Ihr DFG-Projekt zur öffentlichen Auftragsvergabe als neue Arena der industriellen Beziehungen untersuchte, wie dabei arbeitsrechtliche Mindeststandards sichergestellt werden. Bemüht sich der Staat, als ‚Guter Auftraggeber‘ Lücken der kollektiven Selbstregulierung zu schließen – oder trägt er dazu bei, diese zu vertiefen, indem er dem Preiswettbewerb beim Bieten freien Raum lässt? Fallstudien zur Vergabepraxis auf kommunaler Ebene bilden das Kernstück der Erhebung. Die vielfältigen Entscheidungsprozesse im Bieterwettbewerb werden dargestellt. Auch wird die europäische und nationale Gesetzesentwicklung analysiert.

Offenbar ist die Vergabepolitik und -praxis durch widersprüchliche Trends geprägt: Der Öffnung zugunsten sozialer Kriterien stehen administrativ tief verankerte Praktiken und Schranken des Wettbewerbsrechts gegenüber. So befinden sich kommunale Politik und Verwaltung häufig in einem Dilemma, ebenso industrielle Akteure.

Die Autorinnen beschreiben diese Defizite und den Handlungsbedarf. Sie machen Lösungsvorschläge und regen an, aus Grautönen zu lernen und nicht allein auf die Selbstregulierung der Märkte zu vertrauen.

Karen Jaehrling, Christin Stiehm:
Der Staat als ‚Guter Auftraggeber‘? Öffentliche Auftragsvergabe zwischen Vermarktlichung und Sozialpolitisierung
ISBN: 978-3-658-38025-0

LUST AUF SPRACHVIELFALT

Wer im 16. Jahrhundert Informationen suchte, der schrieb einen Brief. Auch Gerhard Mercator war mit Gelehrten über die Grenzen Europas hinaus vernetzt. Er ließ sich schildern, wie die unerforschten Kontinente aussahen, um dies in seinen detaillierten Weltdarstellungen abzubilden – denn Reisen war aufwändig, teuer und gefährlich, wie er selbst erfahren hatte. Seinen Briefwechsel editierten Prof. Dr. Ute Schneider und Dr. Nils Bennemann von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Das erlaubt uns heute Einblicke in die damalige Zeit.

Gerhard Mercator (1512-1594) war Universalgelehrter, politischer Berater und Unternehmer. Als solcher beschränkte er sich nicht darauf, Wissen einfach zu sammeln, sondern bereitete die Informationen neu auf, indem er sie mit dem damals Bekannten verglich. Seine Erkenntnisse setzte er kartographisch um und bündelte die Karten mit ausführlichen Erläuterungen zu Atlanten.

Große Teile seiner Korrespondenz, darunter Briefe und die zumeist lateinischen, verstreut publizierten Originaltexte, haben die beiden Forschenden gesichtet und übersetzt.

Der Briefwechsel dieses Gelehrten ist erstmals in einer kommentierten Gesamtschau zugänglich. Er liefert Zeitdokumente der Wissenschaftsgeschichte: zu Kartographie, Geographie, Kosmographie und Theologie. Er ermöglicht Verständnis für frühere Netzwerke. Und im Briefwechsel mit seinem Schwiegersohn Johannes Molanus werden Herausforderungen des Alltagslebens an der Grenze vom Mittelalter zur frühen Neuzeit beschrieben.

Ute Schneider, Nils Bennemann:
Gerhard Mercator: Briefe
ISBN: 9783534747290

SCHREIBEN STATT REISEN

In den Klassenzimmern von Ballungsräumen sitzen bis zu 40 Prozent Kinder und Jugendliche, die mehrsprachig aufwachsen. So müssen angehende Lehrkräfte befähigt werden, mit dieser sprachlichen Vielfalt umzugehen – und diese als Potenzial statt als Last zu sehen.

Seit den 1970er-Jahren gibt es in der universitären Lehre Angebote zu Deutsch als Zweit- und Fremdsprache (DaZ/DaF). Spracherwerb, -vermittlung und -förderung – diesem Themenfeld widmet sich die UDE seit ihren Anfängen. Zahlreiche Unterrichtskonzepte und didaktische Ansätze bringen Mehrsprachigkeit in die Schulen.

Der Sammelband vereint Beiträge zu hochschuldidaktischen Formaten an der UDE, untersucht ihre Potenziale, Herausforderungen und Grenzen. Die Mitwirkenden kommen vom Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, häufig in Kooperation mit anderen Disziplinen.

Es gibt drei thematisch übergreifende Abschnitte: Mehrsprachigkeit und Sprachbildung als Querschnittsaufgabe, fachdidaktische und transdisziplinäre Perspektiven sowie forschendes Lernen im Kontext von Theorie-/Praxis-Konzepten.

Untersucht werden ganz praxisnah u.a. das DaZ-Modul der Universität, weitere Qualifizierungsmaßnahmen in Praxisphasen sowie in den Fachdidaktiken, schulische und außerschulische Lernorte und Fortbildungen für Lehrkräfte.

Katja F. Cantone, Erkan Gürsoy, Ina Lammers, Heike Roll (Hrsg.):
Fachorientierte Sprachbildung und sprachliche Vielfalt in der Lehrkräftebildung
ISBN: 978-3-8309-4549-9

BELEBENDE PREISDICHTE

Quizfrage: Wie viele Literaturpreise werden regelmäßig in Deutschland verliehen? Es sind tatsächlich rund 850. Braucht es diese alle? Der Frage gehen die beiden Autor:innen nach. Systematisch nähern sie sich in einem mehrjährigen, DFG-geförderten Forschungsprojekt den diversen Auszeichnungen. Der Zeitraum von 1990 bis 2019 wird so erstmals empirisch untersucht.

Fallstudien belegen, dass die Ehrungen mehrere Funktionen haben. Sie gehen auf Wechselbeziehungen ein – unter anderem im literaturbetrieblichen und gesellschaftlichen Kontext. Demnach bilden Literaturpreise wertvolle Knotenpunkte, die heterogene Werte verknüpfen. Wodurch die Werte wiederum reproduziert und dynamisch verändert werden.

Anhand von Preisdichte, Themen- oder Genreballungen und Dotierungsgefälle arbeitet die Studie heraus, dass die Literaturpreislandschaft seit 1990 mitnichten einfach nur inflationär gewachsen ist. Jeden Preis zeichnet ein spezielles Profil aus. Zudem gab es Neugründungen, oder manche Preise wurden nicht mehr verliehen. Genau das verändert die jeweiligen Werteordnungen und sorgt dafür, dass nicht nur der bekannte Deutsche Buchpreis auf herausragende Werke aufmerksam macht.

Dennis Borghardt, Sarah Maaß:
Der Wert der Preise. Valorisierungsdynamik in der deutschen Literaturpreislandschaft 1990-2019
ISBN: 9783826074271

Titelbild: © unsplash