Endlich passt alles zusammen
Viereinhalb Minuten liegen zwischen den beiden Büros von Harry Hoster. Zu Fuß. Sie verbinden Welten und Visionen.
Von Katrin Koster
Prof. Dr. Hosters Tag beginnt heute am Lehrstuhl für Energietechnik. Hier nippt der Chef an seinem Kaffee und nutzt die morgendliche Ruhe, um Veröffentlichungen anzugehen. Am Lehrstuhl konzentriert sich das 20-köpfige Team auf Energiewandlung und -speicherung, simuliert die Energieverteilung und erstellt Versorgungskonzepte. Der Physiker ist zudem seit Oktober 2021 Wissenschaftlicher Leiter des ZBT, des Zentrums für BrennstoffzellenTechnik, einer Tochter der UDE.
Beide Arbeitsbereiche des 51-Jährigen eint der Antrieb dieses Jahrhunderts: Wasserstoff. Dass das Thema jetzt so gehypt wird, war lange nicht zu erwarten. Doch Hoster ahnt das schon als Gymnasiast. Mitte der Achtziger, kurz nach der Tschernobylkatastrophe, hält er einen Vortrag zu Wasserstoff, basierend auf einem Spiegel-Artikel.
Wenige Monate zuvor begegnet ihm bei seinem Hobby, dem Segelfliegen, ein Professor, der damals schon an Zukunftsthemen forschte: Wolf Vielstich. Mit dem Elektrochemiker diskutiert er nicht nur über Flugzeuge, sondern auch über alternative Energiequellen. Dies führte Hoster zu einem Praktikum in den Bonner Elektrochemielaboren und schließlich zu einem Physikstudium in seiner Heimatstadt Bonn. Danach promoviert er Mitte der 1990er-Jahre über Anodenmaterialien für Methanol-Brennstoffzellen an der Universität der Bundeswehr in München. Ein Thema, das damals in Mode kam.
Seitdem sind etliche Veröffentlichungen hinzugekommen. Hoster greift zwei dicke Fachbücher aus dem Regal. Sie zeigen die Oberflächen von Edelmetallen auf atomarer Skala und entstammen Hosters eigenen Labor- und Simulationsarbeiten. „Laborbasteleien und das Programmieren machen mir am meisten Spaß“, gibt er lächelnd zu, streicht sich durch die dichten grauen Haare und denkt dabei an seine Postdoc-Phase zurück.
Damals geht er erst nach São Paulo, baut danach an der Universität Ulm am Lehrstuhl von Jürgen Behm eine Forschungsgruppe für Nanostrukturierte Metalloberflächen und Elektrochemie auf. Dann kommt eine Phase, in der er oft Umzugskisten packt: So übernimmt er nach seiner Habilitation in Physikalischer Chemie 2010 eine Professur am Institut für Technische Elektrochemie der Technischen Universität München (TUM). Kurz darauf wird er Wissenschaftlicher Direktor des TUM CREATE Centre for Electromobility in Singapur, lehrt später als Gastprofessor an der dortigen Nanyang Technological University. Sein Schwerpunkt in dieser Zeit sind Batteriematerialien für Elektrofahrzeuge.
VON BATTERIEGRUNDLAGEN ZU VERSICHERUNGSPRODUKTEN
Zuletzt wirkt er an der Universität Lancaster als Professor für Physikalische Chemie und Direktor von Energy Lancaster. Hier geht es vor allem um die Modellierung und den Betrieb von Batterien, ebenso um ihre Lebensdauer. Er wird Mitgründer des Startups Altelium Ltd., spezialisiert auf Versicherungsprodukte für Batteriespeicher und Elektrofahrzeuge.
Gern denkt er an diese besonderen Jahre, die ihn alle weiterbrachten, denn dabei lernte er verschiedenste Strategien kennen. „Gerade in Singapur ist die Wissenschaft eng verzahnt mit der Politik, die Industriequote mit 25 Prozent hoch. Es wird viel dynamischer an große Projekte herangegangen. Großbritannien hingegen priorisierte in den vergangenen Jahrzehnten den Dienstleistungssektor und tut sich schwerer, den Technologiesektor hinreichend schnell auszubauen. Dort haben mich die effizienten Prozesse beeindruckt: In sieben Jahren habe ich nur ein- oder zweimal auf Papier unterschrieben.“
An die vier Jahre in Singapur erinnert die Skyline des Stadtstaates, die die Rücken einiger Ordner in seinem Büro schmückt. Die Reihe darüber ziert der Lake District bei Lancaster. Dezenter Hinweis auf eines seiner Hobbys: das Wandern. Draußen sein, das mag er. Im Urlaub zieht es den schlanken, sportlichen Wissenschaftler aufs Surfbrett oder auf die Skier. Seine Frau, eine Kanadierin, ist ebenso aktiv wie er. Die beiden lernten sich im Flugzeug von Frankfurt nach Singapur kennen.
Zum Segelfliegen ist er seit der Geburt seines Sohnes vor sechs Jahren nicht mehr gekommen, doch das sieht er gelassen: „Die Zeit mit meiner Familie ist aktuell wichtiger, die möchte ich nicht missen.“ Deshalb versucht der Professor seinen Arbeitstag möglichst familienorientiert zu gestalten. Montags meist im Homeoffice, wo er abends mit seinem Sohn die Sendung mit der Maus auf einem Tablet streamt. Denn einen Fernseher, den gibt es im Hause Hoster nicht.
Abends schreibt Harry Hoster E-Mails, liest Abschlussarbeiten oder bereitet Publikationen vor. Ab dienstags ist er dann oft in Duisburg. Sein Lehrdeputat ist reduziert, der Fokus liegt ganz klar auf der Forschung: Denn für das ZBT wurden in den vergangenen Monaten viele Großprojekte bewilligt. Das Team wächst stetig, aktuell sind es fast 170 Leute, einige nutzen inzwischen sogar Räume am Lehrstuhl. Und es werden weitere gebraucht. So ist am Zentrum ein Beratungsbüro geplant, das Industrie, Politik und Öffentlichkeit in Wasserstofftechnologiefragen unterstützt.
EIN HAUPTGEWINN
„Endlich ist es so weit: Der Markt öffnet sich! Es fühlt sich ungefähr so an, als hätten wir zwanzig Jahre lang Google entwickelt – und dann gibt es auf einmal das Internet!“ Die Augen des Naturwissenschaftlers hinter der dunklen Brille strahlen; er sieht seinen Job als Hauptgewinn. Nun passt alles zusammen.
Hoster kann sich schnell in Neues reindenken und arbeitet viel interdisziplinär – etwa diskutiert er mit Soziolog:innen gesellschaftliche Fragen neuer Mobilitätskonzepte. Bessere Katalysa- toren für Brennstoffzellen treiben ihn ebenfalls um oder die Frage, wie man seltene oder schädliche Materialien sparen kann. Auch wenn sich seine wissenschaftliche Arbeit vorrangig um Brennstoffzellen dreht, war Wasserstoff immer ein Aspekt. Wie die Details zusammenspielen, lernt er jetzt.
Ein Treiber ist das Technologie- und Innovationszentrum TrHy (The Hydrogen Proving Area), das im Duisburger Süden ent- steht. Auf dem Gelände der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) kommen eine Reihe von Industriepartnern und Forschungseinrichtungen zusammen, um die Schlüsseltechnologie einem Praxistest zu unterziehen. Vor allem die Logistik verspricht einer der ersten Bereiche zu sein, in dem wasserstoff- betriebene Fahrzeuge – wie Gabelstapler und LKW – eingesetzt werden.
Wohin geht die Fahrt mit Wasserstoff? Aus Hosters Sicht vor allem in die Großstädte und ins Ruhrgebiet, das mit der ansässigen Schwerindustrie und Chemie ideale Voraussetzungen bietet, um zur ersten Adresse für das chemische Element zu werden: Denn es gibt den Duisburger Hafen sowie die überschaubar kurzen Wege nach Belgien und in die Niederlande. Neben bestehenden Erdgasrohren können einfach Wasserstoff-Pipelines verlegt werden. „Das werden wir ganz sicher in den kommenden zehn Jahren erleben.“
Auf dem Testgelände des ZBT gibt es bereits Zapfsäulen und Speicher. Ist die Technik ausgereift, werden Großstädter:innen ihre Autos bald an Tankstellen mit Wasserstoff füllen können. Was gegenüber Batteriefahrzeugen klare Vorteile hat: Es braucht keine eigene Infrastruktur zuhause und keine Ladezeiten – der Tank ist in wenigen Minuten voll.
Die Forschung testet für die Wasserstoffherstellung und -nutzung preiswerte Multitalente und umweltfreundliche Alter- nativen: „Wir wollen die großflächige Herstellung von Elektrotrolyseuren und Brennstoffzellen voranbringen, ohne zu viele Edelmetalle einzusetzen. Wir wollen günstige Materialien – idealerweise unbegrenzt verfügbar und gut zu recyceln“, fasst er einige Ansätze zusammen und lehnt sich dabei entspannt in seinem Stuhl zurück.
Vieles laufe heute gar nicht mehr über kleinteilige Grundlagenforschung. Man müsse sich mehr trauen, Materialien im richtigen Umfeld einfach ausprobieren. Simulationen helfen, vieles zu vereinfachen, was den Weg in die Anwendung stark verkürzt. Simulationen schätzt er ebenso wie Gedankenexperimente: „Die besten Ideen hatte ich bei einer Bahnfahrt, als ich meinen Laptop vergessen hatte – das sollte ich öfter machen.“
Umzugskisten packt Hoster inzwischen nicht mehr, unterwegs ist er weiterhin: Zu Tagungen oder Messen, Kick-offs und Netzwerktreffen. Wenn möglich, mit dem Zug, auch nach England. Gerade war er in Brüssel, nächste Woche geht’s nach Berlin und Israel. „In Israel wollen wir uns stärker mit der Gründerszene verbinden und Forschungskooperationen aufbauen“, kommt eine weitere präzise Antwort.
Das kann er gut: Dinge auf den Punkt bringen, ohne lange zu dozieren. Und Menschen vernetzen, etwa beim monatlichen Wasserstoff-Stammtisch im Finkenkrug, einer Kneipe nah am Campus. Außerdem fällt die Ruhe auf, die der Wissenschaftler ausstrahlt. Könnte das daran liegen, dass er schon in so unterschiedlichen Konstellationen gearbeitet hat? „Möglich“, lächelt er. „Man hat ja schon einiges erlebt und ist seltener überrascht. Wenn ich ständig Premierenstimmung hätte, würde ich verrückt werden.“
»Es fühlt sich ungefähr so an, als hätten wir 20 Jahre lang Google entwickelt – und dann gibt es auf einmal das Internet!«
Titelbild: © Bettina Engel-Albustin