Ein Virus gegen Krebs
Das eigene Immunsystem bekämpft den Primärtumor und die Metastase – und zwar gleichzeitig. Zur Attacke bläst ein Virus. Das ist die Vision des Start-ups Abalos Therapeutics GmbH.
Von Birte Vierjahn
Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben – so mag der Gedanke zunächst wirken, Krebs mit Viren zu bekämpfen. Doch die Idee ist vielversprechend, und viele Ansätze der vergangenen Jahre setzen hierfür auf onkolytische Viren, die direkt Krebszellen zerstören. Das Problem: Dazu müsste es gelingen, jede einzelne Tumorzelle mit dem Virus zu infizieren, und das ist kaum umzusetzen. Die Idee von Prof. Dr. Karl Lang, Direktor am Institut für Immunologie, und seinem Bruder Philipp, Professor an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf, HHU, ist daher eine andere, als sie im Oktober 2019 gemeinsam die Abalos Therapeutics GmbH ausgründen (siehe Infokasten).
Sie wollen das Immunsystem von Krebspatient:innen dazu bringen, selbst Tumorzellen zu bekämpfen. Speziell designte Viren markieren dabei die Tumorzellen wie neonfarbene Klebezettelchen. Die Grundlagen dafür haben die Brüder Lang von einer Koryphäe gelernt: Als Postdocs arbeiteten beide im Labor von Rolf Zinkernagel, der 1973 den Medizin Nobelpreis erhielt, weil er gemeinsam mit einem australischen Kollegen nachwies, wie das Immunsystem virusinfizierte Zellen erkennt.
Diese Erkenntnis ist die Basis für Abalosʼ Therapieansatz: Das junge Unternehmen, das mit Forschenden der UDE und der HHU kooperiert, arbeitet mit dem Lymphozytären
Choriomeningitis-Virus, kurz LCMV, einem bereits gut untersuchten Arenavirus.
Von Arenaviren ist bekannt, dass sie sich bevorzugt in Tumorzellen vermehren und dadurch beide Arten des menschlichen Immunsystems aktivieren: das unspezifische angeborene, das sofort, aber recht willkürlich alles angreift, was nicht körpereigen ist, sowie das erworbene, das länger braucht, um sich zu formieren, dafür aber mit maßgeschneiderten Waffen gegen den individuellen Feind daherkommt. Zudem vermehrt sich das LCM-Virus schnell in Tumorzellen und bleibt lange in ihrem Innern. Das ist wichtig für den nachfolgenden Prozess: Grundsätzlich reagieren Zellen, die von Viren befallen sind, indem sie Bruchstücke (Peptide) der Eindringlinge auf ihrer Oberfläche präsentieren und Botenstoffe (Cytokine) aussenden. Das ist der Notruf der Zelle ans Immunsystem: „Ich bin infiziert, und zwar von diesem Erreger!“ Spezialisierte Immunzellen – Monocyten und cytotoxische CD8+ T-Zellen – erkennen die Signale und zerstören die befallene Zelle samt dem potenziell schädlichen Inhalt. Bei einer simplen Infektion wie z.B. einem Erkältungsvirus ist die Zerstörung der körpereigenen Zelle dabei ein Kollateralschaden – das eigentliche Ziel sind die Viren, die sich in ihrem Innern vermehrt haben. In der Virotherapie von Abalos hingegen ist der Tod der Tumorzelle das Ziel der Behandlung, die Viren sind hochspezialisierte Zielmarkierungen, Mittel zum Zweck.
43 MIO. EURO FÜR DIE VIRUSTHERAPIE
Prof. Dr. Karl Lang (Direktor am Institut für Immunologie) und sein Bruder Philipp (Professor an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf) gründeten im Oktober 2019 die Abalos Therapeutics GmbH mit Sitz in Düsseldorf. In zwei Finanzierungsrunden konnte sich das junge Unternehmen insgesamt 43 Mio. Euro sichern – zum Beispiel vom Boehringer Ingelheim Venture Fund, dem Finanzinvestor Seventure Partners sowie aus dem Gründerfonds Ruhr und dem High-Tech-Gründerfonds. 2024 sollen die klinischen Studien zur Virustherapie starten.
EVOLUTION IM ZEITRAFFER
Damit das LCM-Virus seine Aufgabe bestmöglich erfüllt, aber keine unerwünschten Nebenwirkungen hervorruft, wurde es auf seine Aufgabe hin maßgeschneidert. Dazu hat Abalos eine „Fast-Evolution-Plattform“ genutzt. Evolution im Zeitraffer, wie der Name besagt: Die Forschenden haben Arenaviren parallel in verschiedenen Tumorzellen wachsen lassen und sich die hier- bei natürlich auftretenden Mutationen angesehen. Und so wie beim Züchten von Äpfeln diejenigen Exemplare vermehrt werden, die besonders schmackhaft, anspruchslos und widerstandsfähig sind, hat das 18-köpfige Abalos-Team in den mehr als 100 beobachteten Mutationen besonders auf drei Merkmale geachtet und sie gezielt zusammengestellt:
1. Das Virus dringt gut in Tumorzellen ein.
2. Es vermehrt sich rasch im Innern.
3. Es aktiviert von dort aus effektiv das Immunsystem.
Das vierte Kriterium, die Sicherheit für Patient:innen, haben die Forschenden anschließend gewährleistet, indem sie z.B. die Fähigkeit der Viren abschwächten, Leberzellen zu infizieren. Ebenfalls aus Sicherheitsgründen ist auch das Ende vorgegeben: Zwar sind die Viren wie gewünscht recht lang resistent gegenüber den körpereigenen Abwehrmechanismen, doch nach getaner Arbeit machen die CD8+ T-Zellen kurzen Prozess mit den kleinen Helfern.
„Alle Kriterien zusammen haben zu einem vielversprechenden und sicheren Virus-Kandidaten geführt, mit dem wir derzeit in den präklinischen Studien sind“, fasst Geschäftsführer Dr. Marcus Kostka zusammen.
EINZELKÄMPFER UND TEAMPLAYER
2024 will Abalos mit seinem Virus-Kandidaten in die klinischen Studien einsteigen. Für die Behandlung geeignet sind vor allem solide Tumore, also solche, die mit Gewebswucherungen einhergehen – im Gegensatz z.B. zu einer Leukämie. Die Viren werden intravenös verabreicht und finden von selbst die Tumorzellen, in denen sie sich vermehren und die körpereigene Abwehr aktivieren. Dabei können sie entweder allein für die Behandlung eingesetzt werden oder in Kombination mit anderen Therapieformen, um deren Wirkung zu verstärken. So wird das Abalos-Team in Phase 2 der Studien sein Virus mit Checkpoint-Inhibitoren kombinieren: Tumorzellen entwickeln eigene Abwehrmechanismen, um vom Immunsystem nicht als gefährlich erkannt und zerstört zu werden. Checkpoint-Inhibitoren sind noch neue Arzneimittel, die diesen Eigenschutz der Krebszellen blockieren – doch leider nicht bei allen Patient:innen. „Wir hoffen, dass die Kombination mit unserer Virus-Therapie hier einen entscheidenden Durchbruch bringt“, so Kostka.
Sollten auch die klinischen Studien erfolgreich sein, können Abalosʼ Viren in Betroffenen jede einzelne Tumorzelle angreifbar machen – egal, ob im Primärtumor oder in weit entfernten, vielleicht noch nicht nachzuweisenden Metastasen.
Titelbild: © Abalos Therapeutics GmbH