Beton im Weltall klingt schon kurios, aber diesen auch noch auf der ISS anrühren – in einem selbstgebauten Mischer? Warum das Projekt MASON* nicht nur dem irdischen Umweltschutz dient, sondern auch Gebäude auf dem Mond ermöglichen könnte, wissen die Expert:innen vom Institut für Massivbau (IfM). Von Jennifer Meina
Der Astronaut Matthias Maurer rührt auf der ISS Beton händisch an. Der speziell hergestellte Mischer wurde von Forschenden der UDE entwickelt. © Foto: NASA / ESA

„Unsere Betonproben in eigens angefertigten Handmischern waren schon sehr besondere Gäste auf der SpaceX 24, die im November 2021 zur ISS flog“, sagt Prof. Dr. Martina Schnellenbach-Held, Leiterin des IfM. Dabei ist das Ziel des UDE-Teams und seiner Partner vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und der Universität zu Köln (UzK) zukunftsweisend: Wie kann Beton klimafreundlicher hergestellt werden? Gerade Zement, ein Hauptbestandteil des Baustoffes, setzt jährlich rund drei Gigatonnen CO2 frei. Zudem werden Unmengen an Sand, Kies und Wasser benötigt. Eine Antwort könnte MASON liefern.

Warum ein Experiment im Weltall? Die dauerhafte Schwerelosigkeit eröffnet Einblicke in das Verhalten von Materialien, die in irdischen Laboren nur sehr begrenzt möglich sind. Denn für die Festigkeit von Beton ist, neben dem Mischverhältnis, das Aushärten entscheidend. Auf der Erde werden die Erstarrung und Erhärtung von der Gravitation beeinflusst, somit hängen unter anderem die Porenstruktur und möglicherweise auch die Festigkeit des Betons von der Schwerkraft ab. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Beton erst auf der ISS anzumischen, denn hier – im Labor der Raumstation, die die Erde auf einer Umlaufbahn in rund 400 Kilometern Abstand umkreist – herrschen dauerhaft die gleichen Bedingungen von null Gravitation. Doch: Einen geeigneten Mischer gab es weder bei der NASA, also der US-Bundesbehörde für Raumfahrt und Flugwissenschaft, noch bei sonst einer Raumfahrtagentur. Er musste also von den UDE-Forschenden zusätzlich entwickelt werden.

Patentiertes Tüfteln

Dafür waren zwei Voraussetzungen entscheidend: 1. Leicht sein. Betonprobekörper mit üblichen Abmessungen und vor allem Massen hätten weder hergestellt noch transportiert werden können. 2. Die strengen Sicherheitsauflagen erfüllen. So durfte etwa der Zement das Behältnis keinesfalls verlassen, da sonst die ISS mit Zementpartikeln kontaminiert und die Astronaut:innen möglicherweise einer gesundheitlichen Gefährdung ausgesetzt worden wären. „Besonders knifflig war dabei die Frage, wie man die trockenen Ausgangsstoffe, also Zement und Sand, mit dem Wasser vermischt“, erklärt Dr. Torsten Welsch vom IfM.

Doch das war längst nicht die einzige Herausforderung. „Die Sicherheitsüberprüfungen fingen bei Berechnungen des Behälters für verschiedene Über-/Unterdruck-Szenarien an und reichten bis hin zu zahlreichen Experimenten, bei denen geprüft wurde, ob alle Komponenten dicht und bruchsicher sind.“ Bei einem Test wurde etwa auf einer Art Rütteltisch die Beschleunigung der Hardware beim Start der Rakete simuliert. Diese Tests gingen über Monate – mit positivem Ausgang und einem mittlerweile angemeldeten Patent für den Betonmischer. „Wir haben im November 2020 mit der Entwicklung begonnen und hatten im August 2021 die Zertifizierung durch die Europäische Weltraumorganisation ESA. Das ist für Raumfahrtverhältnisse kurz vor Lichtgeschwindigkeit“, betont Welsch.

Das IfM

Prof. Dr. Martina Schnellenbach-Held leitet das Institut für Massivbau. Mit ihrem Team aus über 20 Mitarbeiter:innen forscht sie an der Entwicklung neuer Baustoffe, Bausysteme und Bewehrungselemente.

Arbeiten mit Mondsteinsimulat

64 Betonzylinderproben – ähnlich wie hier abgebildet – wurden in der Schwerelosigkeit hergestellt | © Foto: Julian Müller

Astronauten Matthias Maurer im Februar 2022 konnten in allen UDE-Handmischern die unterschiedlichen Betone gemischt werden. „Matthias Maurer hat uns ausrichten lassen, dass er sehr begeistert von unserem Experiment und dem Gerät war. Er hat sich lediglich über ein wenig Muskelkater beklagt, was ihm aber nach dem manuellen Mischen von 64 Proben nicht zu verübeln ist“, scherzt Schnellenbach-Held. Die verschiedenen Mischungen stammen vom IfM. „Uns war es wichtig zu schauen, wie sich konventioneller Beton unter Schwerelosigkeit verhält. Mit Blick auf die Errichtung von Stationen auf dem Mond haben wir aber beispielsweise auch Regolith, ein Mondsteinsimulat, verwendet.“

Derzeit warten die UDE-Forscher mit Spannung auf die Rückkehr der erhärteten Proben des MASON-Projekts nach Deutschland, wo sie in den Laboren des IfM und der UzK umfangreichen Analysen unterzogen werden. Besonders interessant: Parallel zu den Experimenten auf der ISS fanden auf der Erde die gleichen Versuche statt – und zwar sowohl in konventioneller Weise unter Erdgravitation als auch in sogenannten Klinostaten, die Schwerelosigkeit simulieren. Sind die Ergebnisse aus dem All und aus den Klinostaten vergleichbar, könnten künftig viele Versuche schneller, einfacher und kostengünstiger durchgeführt werden – und sie müssen nicht erst ins All geflogen werden.

Ein konkretes Folgeprojekt gibt es derzeit zwar noch nicht, „aber da die Errichtung von Habitaten auf dem Mond ein erklärtes Ziel der Artemis-Mission der NASA ist, gibt es sicherlich noch einiges zu tun. Ein wichtiges Thema betrifft beispielsweise die Reduzierung von bzw. der Verzicht auf Wasser – im Weltraum ein knappes Gut“, so die Expertin weiter, die es „ungemein spannend“ findet, sich wissenschaftlich mit dem Bauen auf Himmelskörpern auseinanderzusetzen. „Wir sind stolz, dass wir hierzu einen Beitrag leisten könnten.“

Ein wenig Muskelkater hatte Astronaut Matthias Maurer nach dem Betonmischen. Von der Idee des Experiments zeigte er sich aber dennoch begeistert. © Foto: NASA / ESA

Beton der Zukunft

Aber ist Beton nicht ein Auslaufmodell? Sollten nicht Alternativen gesucht werden? Das sei schwierig, sagt die Wissenschaftlerin.

„Trotz aller Diskussionen ist Beton als Konstruktionsmaterial aus meiner Sicht auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen. Es gibt keinen Werkstoff mit vergleichbaren Eigenschaften – von der Stabilität bis hin zur enormen Langlebigkeit.“ Alternative Bauweisen, etwa mit Holz oder Stahl, könnten die Betonbauweise allein aufgrund mangelnder Ressourcen nicht vollständig ersetzen. „Aber wir sind zuversichtlich, dass es gelingen wird, die Nachhaltigkeit von Beton weiter zu verbessern.“ Das sei in der Beton-Forschung gerade das A und O – auch an der UDE, wo die Forschung des IfM von „klassischen“ konstruktiven Fragestellungen über 

den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Massivbau bis hin zur Entwicklung von Hochleistungsbeton reicht.

»Trotz aller Diskussionen ist Beton aus meiner Sicht auf absehbare Zeit nicht zu ersetzen.«

Zu letzterem zählt beispielsweise der Hochleistungsaerogelbeton, ein tragfähiger und gleichzeitig wärmedämmender Konstruktionsleichtbeton, der die Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen überflüssig macht.

* MASON steht für „Material science on solidification of concrete“, Materialforschung in Schwerelosigkeit an Beton