Die Straßen sind voll, die Schienen erst recht – das macht den Transport auf dem Wasserweg attraktiv. Doch hier fehlt Personal. Eine Lösung: die autonome Binnenschifffahrt.

Von Juliana Fischer

Es klingt wie die Antwort auf viele Probleme: die rar gesäten Schiffsführer:innen entlastet, Personalkosten gespart, längere Fahrzeiten ermöglicht und ganz nebenbei die Emissionen im Verkehrssektor reduziert. Ist es so einfach? „Ja“, sagt Dr. Jan Oberhagemann, Leiter des Fachbereichs Autonome Schifffahrt am DST (Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme). „Assistiertes, automatisiertes oder auch autonomes Fahren wird von der Schifffahrtsbranche als eine Schlüsseltechnologie angesehen“, erklärt er. Aus den bis zu 200 Meter langen Versuchstanks des An-Instituts der Uni finden dieses Jahr drei Schiffe ihren Weg auf die Wasserstraßen. Sie alle sind Teil aufeinander aufbauender Forschungsvorhaben, die Oberhagemann und seine Kolleg:innen am DST mit UDE- Ingenieur:innen verschiedener Lehrstühle umsetzen. Sie haben ein Ziel: die vollständige Automatisierung der Binnenschifffahrt. An Bord: Künstliche Intelligenz (KI).

AUTONOME STUERUNG: AUTOBIN

Einen ersten Projektabschluss gab es Ende März 2023 – als die Niedersachsen 22 nach 40 Jahren im Betrieb ihre zweite Jungfernfahrt erlebte. Nur dieses Mal musste niemand über das Steuerrad wachen. Nachgerüstet mit einem automatischen Steuerungssystem hat mit ihr nun erstmals ein großes Gütermotorschiff eigenständig eine Route geplant. Groß heißt: 100 Meter lang und 2.300 Tonnen Transportkapazität.

„Nach wie vor ist eine erfahrene Person an Bord, die jederzeit eingreifen kann. Ansonsten steuert das Schiff aber selbstständig und sicher durch den Kanal“, sagt Oberhagemann, der das Projekt AutoBin leitet. Möglich machen es Kameras, Sensoren, Radar und Laserscanner, die die Umgebung erfassen. Das System berechnet aus den gesammelten Daten einen kollisionsfreien Kurs. Wichtig ist die Binnenschifffahrt auch für die Umwelt:

„Ein Schiff in der Größe der Niedersachsen 22 kann so viel transportieren wie 150 LKW – und verbraucht nur ungefähr ein Viertel der Energie für diese Transportleistung.“

Das Projekt wurde von Oktober 2019 bis Ende März 2023 mit 1,5 Mio. Euro von der EU und dem NRW-Verkehrsministerium gefördert. Beteiligt waren das DST, die Lehrstühle Mechatronik sowie Steuerung, Regelung und Systemdynamik und die Reederei HGK Shipping.

Hier können sich die Schiffsführer:innen künftig zurücklehnen. Die Niedersachsen 22 fährt dank automatischen Steuerungssystems eigenständig zum Ziel. | © picture alliance/dpa/Dieter Menne

FRISCH GETAUFT: ELLA

Wendig, lernfähig und vollständig elektrisch betrieben: Das ist ELLA. Sie wurde eigens für die Erforschung des autonomen Fahrens konzipiert. Das schnittige Modell ist einem Binnenschiff im Maßstab von 1:6 nachempfunden und wird lernen, sich eigenständig in engen Kanälen, Schleusen und Hafenbecken zu bewegen. „Diese komplexen Manöver sind eine große Herausforderung für das autonome Fahren“, erklärt Oberhagemann, „denn schlicht geradeaus geht es hier ja nicht.“ Erschwerend hinzu kommt der Beladungszustand: „Ein vollbeladenes Schiff steuert sich anders als ein halbleeres. Der Einfluss der Beladung auf das Fahrverhalten muss also berücksichtigt werden, um die Manövrierbarkeit des Schiffes richtig einschätzen zu können“, so der Ingenieur.

Ausgestattet mit jeder Menge Sensorik, Kameras und Umgebungsscannern wird ELLA künftig auf einer Teststrecke im Dortmund-Ems-Kanal trainieren.
„Dabei lernt die KI Schritt für Schritt
anhand menschlicher Fahrweise und eigener Versuche, die Manöver selbstständig zu planen und auszuführen“, erklärt Oberhagemann. „Schon bei der Entwicklung des Schiffs haben wir in Simulationen die Sensorik unter unterschiedlichen virtuellen Wetterbedingungen getestet, um das maschinelle Lernen optimal vorzubereiten.“ Das Steuerhaus wird zwar weiterhin von einem Menschen besetzt sein – der muss aber am Ende der Entwicklung nur noch im Notfall eingreifen.

Im März 2023 wurde ELLA im Duisburger Hafen feierlich getauft. ELLA steht für Entwicklungsplattform im Modellmaßstab für Manöver-Automatisierung. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr mit 800.000 Euro gefördert und läuft bis Ende des Jahres 2023.

Am Haken nur bei der Schiffstaufe. Künftig lernt ELLA selbstständig durch enge Schleusen und Kanäle zu steuern. | © DST/Benjamin Friedhoff

CLEVER UND GRÜN

In der Werft befindet sich mit dem Smart and Green Ship ein weiteres Forschungsschiff. Es soll die ganz große Herausforderung der autonomen Schifffahrt angehen: viel befahrene Flüsse. „Fernab gerader Kanäle werden wir das im Duisburger Hafen und auf dem Rhein erforschen“, so Dr. Jens Neugebauer vom Institut für Schiffstechnik, Meerestechnik und Transportsysteme der UDE. „Im Gegensatz zur Teststrecke gilt es hier, in hohem Verkehrsaufkommen sicher zu fahren und Hindernisse wie Ruderboote zu umschiffen.“ Die haben kein Funksignal, mit dem sie zuverlässig erkannt werden können – auch im Dunkeln, bei Regen oder Nebel. Dann muss das Schiff die richtige Entscheidung treffen: bremsen, ausweichen oder weiterfahren?

Und nicht nur das. Mit dem Smart and Green Ship bekommen die Wissenschaftler:innen zudem eine schwimmende Forschungsplattform, mit der sie den Verkehr auf dem Wasser sauberer machen wollen. „Das Schiff wird vollelektrisch angetrieben. Damit testen wir, wie der Leistungsbedarf bei verschiedenen Fahrweisen ist und wie wir durch die Automatisierung Kraftstoffe sparen können.“ Auch weitere grüne Antriebe stehen bei den Forschenden hoch im Kurs. „Künftig wollen wir das Versuchsschiff auch nutzen, um andere emissionsfreie Energieträger, etwa auf Basis von Wasserstoff, ganz praktisch zu testen“, erklärt Neugebauer.

Abgasfrei und automatisiert: Das Smart and Green Ship ist wegweisend für die Binnenschifffahrt der Zukunft. | © UDE/Jason Sutanto

Doch bis zur Mobilitätswende auf den Wasserstraßen sind noch einige Hürden zu nehmen. „Die technische Umsetzung alternativer Antriebe, ihr wirtschaftlicher Einsatz und die Versorgungslogistik sind deutlich schwieriger als beim PKW“, betont DST-Ingenieur Oberhagemann. Kollege Jens Neugebauer ist sich sicher, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die Maschine den Menschen als Kapitän flächendeckend ersetzt. „Die Automatisierung wird dennoch rasend zunehmen – und damit auch dafür sorgen, dass sich die Arbeitsplätze und rechtliche Vorgaben verändern.“

Das Schiff wurde vom Land NRW mit 1,2 Mio. Euro gefördert und wird Ende des Jahres 2023 zu Wasser gelassen. Es arbeiten hier das Institut für Schiffstechnik, Meerestechnik und Transportsysteme, der Lehrstuhl Mechatronik und das DST zusammen.

Titelbild: Um das hochautomatisierte Fahren von Binnenschiffen zu erforschen, braucht es realitätsnahe Simulationen und virtuelle Testfelder. Das DST besitzt mit dem Versuchs- und Leitungszentrums VeLABi eine deutschlandweit einzigartige Umgebung. Hier lassen sich Assistenzsysteme und Komponenten in Echtzeit testen. © UDE/Frank Preuß