Mehr Zeit für den Menschen
Künstliche Intelligenz (KI) im Krankenhaus? Das fühlt sich für viele Menschen immer noch futuristisch an. Dabei spielt dieses Zukunftsthema inzwischen in fast alle medizinischen Bereiche hinein. Wie sich Möglichkeiten und Grenzen sicher ausloten lassen, erforscht seit zweieinhalb Jahren das Essener Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin, kurz IKIM. Wichtigstes Gut hierbei: Vertrauen. Von Katrin Koster
Was kann Künstliche Intelligenz, was langjährige medizinische Erfahrung nicht kann? Prof. Dr. Felix Nensa hat die Frage erwartet und nutzt sie, um eines direkt klarzustellen: „KI hilft dem Arzt, besser und effizienter zu sein, ersetzt ihn aber nicht.“ Der Radiologe leitet eine von aktuell vier Arbeitsgruppen mit insgesamt rund 140 Wissenschaftler:innen, die genau das in unterschiedlichen Projekten beweisen und im Alltag umsetzen wollen.
Im IKIM – nah am Campus des Universitätsklinikums – arbeitet das junge Team als Teil der Medizinischen Fakultät der UDE fachübergreifend zusammen. Mit viel Lust aufs Neuland und wohl wissend, auf welche Skepsis maschinengestützte Diagnostik und Behandlung mitunter trifft.
„Wir wollen Vertrauen aufbauen und zeigen, wie KI die Medizin wieder menschlicher macht“, so Nensa. Menschlicher, mit Hilfe von Maschinen? Für den Professor ist das kein Widerspruch: „Indem Routinen und Abläufe automatisiert werden, sparen die Fachleute wertvolle Zeit. Diese können sie dann auch für persönliche Gespräche nutzen.“ Werden Ressourcen optimal eingesetzt, steht das ganze System auch finanziell gut da. Zweifellos ein zentraler Aspekt im modernen Krankenhausmanagement. Doch wie muss man sich das vorstellen?
Drei Beispiele aus der Praxis
Beispiel I: Feiertag, gutes Wetter, die Menschen gehen aus, setzen sich aufs Rad, Motorrad oder Pferd und – brauchen mehr Blut. Denn statistisch gesehen passieren dann mehr Unfälle, was die kostbare Ressource gerade an freien Tagen noch begehrter macht. Wo lagern wie viele Konserven mit welchem Verfallsdatum und welchen Blutgruppen? Nicht nur bei diesem IKIM-Vorhaben geht es um große Datenmengen, die auf Knopfdruck ausgewertet werden. Blutspenden lassen sich so optimal verteilen und zeitnah einsetzen; das hilft ebenso bei geplanten Operationen oder bei Engpässen eines Krankenhauses. Mittels einer neuen Smartphone-App sollen bestimmte Menschen gezielt zur Spende motiviert werden, damit später genau die Blutgruppe vorhanden ist, die gebraucht wird.
Beispiel II: Max Müller ist erleichtert, denn er kann heute das Krankenhaus verlassen. Der Patient wartet nur noch auf den Brief mit der Diagnose und weiteren Therapieempfehlungen. Wer das schon mal erlebt hat, weiß, wie lange sowas dauern kann. Damit keine kostbare Zeit verrinnt, wird die KI hier zum automatisierten Briefeschreiben genutzt: Sie führt alle wesentlichen Informationen zusammen, das medizinische Personal schaut abschließend drauf. „Im Idealfall wird das Schreiben direkt an die hausärztliche Praxis übermittelt. Wir arbeiten zusätzlich daran, dass der Inhalt von einer KI zugleich in eine laienverständliche Sprache übersetzt wird“, macht Felix Nensa das Bild noch runder.
Beispiel III: Eine Leberlebendspende ist geplant. Millimetergenau markiert die Fachärztin den Bereich, der entnommen werden soll – genau so wenig, dass die Person, die spendet, möglichst schnell wieder auf den Beinen ist, und so viel, dass das Organ in den neuen Körper passt bzw. optimal funktioniert. Bei allem Feintuning darf die Lebervene nicht beschädigt werden. „Ein aufwändiges ‚Malen-nach-Zahlen‘, das eine KI viel besser berechnen und erfassen kann. Innerhalb weniger Sekunden wertet sie zudem Bilder aus dem Computertomographen aus und liefert wichtige Hinweise zum geplanten Eingriff “, weiß Nensa. Auch das spart Zeit und menschliche Arbeitskraft.
Ausbildung verändert sich
Es gibt etliche Projekte, etwa zum Mikrobiom oder zur Diagnose von schwarzem Hautkrebs. Die zahlreichen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz in der Medizin werden wissenschaftlich analysiert, weiterentwickelt und zügig für den Alltag nutzbar gemacht. Mit Neugier, Zuversicht und immer auch mit einer großen Portion Skepsis. Stets begleitet von der Frage, wo die Grenzen sind.
„Wir übernehmen nicht einfach das, was die Algorithmen uns anzeigen, sondern hinterfragen grundsätzlich, ob das stimmig ist – und wo wir noch mehr von unserer Erfahrung einfließen lassen sollten“, betont Felix Nensa.
All diese Beispiele zeigen: Bei den Antworten, die das IKIM findet, heißt es nicht „oder“, sondern „und“. Es geht darum, medizinische Expertise und KI bestmöglich zu verknüpfen, Routinen zu verkürzen und damit mehr Raum für eine individuelle Medizin zu schaffen.
Das Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin (IKIM)
Gegründet im Februar 2020, ist es deutschlandweit eines der ersten seiner Art. Es gehört zur Medizinischen Fakultät der UDE und zur Universitätsmedizin Essen und wächst stetig. Derzeit sind sieben Professuren neu eingerichtet, fünf davon bereits besetzt; es gibt ein DFG-finanziertes Graduiertenkolleg und vier Nachwuchsgruppen. Rund 140 Personen arbeiten interdisziplinär zusammen; sie stammen aus aller Welt und bringen viel Fachwissen mit – aus der Informatik, der Biochemie, der Mathematik, Jura u.v.m.
Jüngster Erfolg des Instituts ist das Projekt KITE, das die Europäische Union mit 2,5 Millionen Euro finanziert. Es soll eine Plattform aufgebaut werden, damit Arbeitshilfen, die auf KI basieren, schneller in der Klinik eingeführt und angewendet werden.
Ein weiterer Baustein ist die fundierte Ausbildung. Informatik und Medizin wirken seit Längerem zusammen, die entsprechende Software muss deshalb auch das medizinische Personal von morgen kennen. „Sonst wird KI zum Rohrkrepierer“, so Prof. Nensa. „Als Arzt sollte ich meinen Patient:innen gut erklären können, warum die Daten genau jene Operation nahelegen und nichts anderes.“
Nensa weiß um das Potenzial dieser Pionierarbeit: „Künstliche Intelligenz verändert die Medizin – wenn wir es zulassen – in einem positiven Sinn. Denn sie erkennt hochkomplexe Zusammenhänge und Muster leichter. Was dabei hilft, Behandlungen viel individueller und dadurch wirksamer zu machen.“