Gesunde Umwelt
Was passiert tief unten, im Keller der Erde? Das interessiert Alexander Probst. Er untersucht, wie sich Mikroorganismen auf die Umweltgesundheit auswirken. Der Forschungsprofessor am neuen Research Center One Health Ruhr sagt Antibiotikaresistenzen den Kampf an.
Von Juliana Fischer
Wer beim Thema Gesundheit an Medikamente, Laborwerte und Therapien denkt, hat die Rechnung ohne die Umwelt gemacht. Auch sie beeinflusst unser Wohlbefinden. Das wusste schon Hippokrates. Heute versammelt sich unter dem Begriff One Health ein Ansatz, der medizinische Herausforderungen global angeht und die physikalischen, chemischen und biologischen Faktoren berücksichtigt, die von außen auf den Menschen einwirken. Teil der breiten Agenda sind der Kampf gegen Antibiotikaresistenzen und Pandemien – Themen also, die einen Blick in die Mikrowelt erfordern.
Den hat Prof. Dr. Alexander Probst. Der Biologe ist Experte für Umweltmetagenomik, eine Vorgehensweise zur Erbgutanalyse von Mikroben. Dabei werden die Proben direkt aus dem natürlichen Lebensraum entnommen. „Wir können so das Genom rekonstruieren und die biologische Vielfalt des Materials erfassen. Und das, ohne Bakterien und Co. in der Petrischale zu kultivieren.“
UNENDLICHE WELTEN
„Besonders hilfreich ist die Methode, um die Artenvielfalt in der tiefen Biosphäre zu erkunden“, sagt Probst. „Über 70 Prozent der Mikroorganismen tummeln sich unter der Oberfläche bis hin zu einer Tiefe von zehn Kilometern. Und jedes Mal, wenn wir Proben entnehmen, entdecken wir neue Spezies.“ Diese winzigen, für unser Auge nicht sichtbaren Lebewesen haben sich so sehr an ihren extremen Lebensraum angepasst, dass sich die meisten im Labor nicht züchten lassen. „Ohne die Metagenomik bliebe uns ihre Vielfalt also verschlossen.“
Für Probst ist seine Forschung wie eine Star Trek-Mission: „to go where no man has gone before“. Der 39-Jährige hat weltweit zahlreiche Ökosysteme untersucht, von der südamerikanischen Atacama-Wüste bis hin zur Schwäbischen Alb. Insbesondere analysiert er Virus-Interaktionen und Infektionszyklen. In einer vielbeachteten Arbeit konnte er zeigen, dass es im Keller der Erde Viren gibt, die bestimmte CO2-bindende Mikroorganismen befallen – und so Einfluss auf den Kohlenstoffkreislauf des Planeten nehmen können.
Doch wie funktioniert das Puzzlespiel, mit dem die Gensequenz eines einzelnen Bakteriums innerhalb einer kompletten mikrobiellen Gesellschaft rekonstruiert werden kann? „In der sogenannten Genom-aufgelösten Metagenomik setzen wir einzelne Erbgut-Bruchstücke wieder zusammen“, erklärt Probst. Bei der Sequenzierung der Einzelteile hilft die Nanopore-Technologie. Mit diesem Verfahren wird ein Nukleinsäurestrang durch einen winzigen Kanal innerhalb einer Membran – eine sogenannte Nanopore – gezogen. Während der Strang durch die Nanopore läuft, werden Änderungen des elektrischen Stroms erfasst und analysiert und so die Basenabfolge ausgelesen. Die Abfolge der Basen innerhalb des Strangs – quasi der genetische Personalausweis einer Art – ermöglicht dann die Zuordnung des Materials zur jeweiligen Mikrobe.
ANTIBIOTIKARESISTENZEN BESSER VERSTEHEN
Weltweit nimmt die Zahl der Bakterien rasend schnell zu, gegen die Antibiotika machtlos sind. Die Wissenschaft sucht daher neue Wege zur Bekämpfung der Resistenzen – so künftig auch der UDE-Biologe am Research Center One Health Ruhr. „Auf mikrobiologischer Ebene können wir vieles noch nicht nachvollziehen“, so Probst. „Etwa, wie die resistenzverleihende Gensequenz von Bakterien in einem Krankenhaus oder einer Kläranlage auf Bakterien in anderen Ökosystemen überspringt und warum sich an manchen Stellen Hotspots bilden.“ Um die genetischen Mechanismen der Resistenzen besser zu verstehen, möchte Probst zunächst Flüsse und Gewässer beproben, und zwar innerhalb und in der Nähe von Kläranlagen. Diese haben sich als Informationsquelle über krankmachende Erreger bereits während der COVID-19-Pandemie bewährt. „Abwässer sind durch Antibiotikarückstände ein Hotspot dafür, dass sich resistente Bakterien entwickeln, anreichern und verbreiten. Indem wir hier Gewässerproben entnehmen und ihr genetisches Material untersuchen, können wir besser verstehen, wo und wann das passiert.“
Um die Resistenzgene zu identifizieren, die von Bakterien in die Umwelt eingetragen werden, hat der Mikrobiologe das Analyseverfahren weiterentwickelt: Bei der Sequenzierung von Umweltproben verbindet er Erbgutinformationen miteinander. Dadurch können Resistenzgene einem bestimmten Bakterium zugeordnet und so Verbreitungsmuster sichtbar werden. So möchte Probst auch untersuchen, wie das Ökosystem auf die Verbreitung reagiert. Kann beispielsweise ein besonders fitter Fluss mit einer großen Artenvielfalt die resistenten Erreger abwehren, weil das System keine Verwendung für sie hat? „Modellierungen weisen darauf hin, dass ein gesundes Ökosystem mit einer hohen Biodiversität wie ein Schutzschild gegen krankmachende Spezies wirkt. Ob das auch auf die Ebene der Antibiotikaresistenzen zutrifft, möchte ich mit meiner Forschung herausfinden“, erklärt Probst.
DAS RESEARCH CENTER ONE HEALTH RUHR
Unter dem Dach der Research Alliance Ruhr bündeln seit 2021 die Universitäten Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund ihre internationale Spitzenforschung. Ein geisteswissenschaftliches College und vier Research Center entstehen. Eines davon ist das Research Center One Health Ruhr – from Molecules to Systems, an dem seit Oktober 2022 Alexander Probst (UDE) als Professor für Umweltmetagenomik forscht. „Hier werden die grundlegenden Mechanismen von Gesundheit und Krankheit untersucht. Dabei dient das Ökosystem als Kontext, sodass die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Umweltgesundheit und menschlicher Gesundheit berücksichtigt werden können“, erklärt Center-Direktor Prof. Dr. Dirk Schadendorf.
In der Wissenschaftsmetropole Ruhr schafft das Center eine multidisziplinäre Anlaufstelle für Molekularbiologie, Wasserforschung, molekulare Krebsforschung und Neurowissenschaft – und spannende Karriereaussichten für Wissenschaftler:innen. Die Research Alliance wurde von der Landesregierung in der Aufbauphase mit 75 Mio. Euro gefördert und erhielt im Dezember 2022 eine Anschlussförderung von 48 Mio. Euro.
Titelbild: © Alexander Probst