Gute Killerzellen
Chemotherapie, Bestrahlung oder Operation – das sind bei Krebs die gängigen Therapien. Dass es auch anders geht, erforschen die Lymphom-Fachleute am Universitätsklinikum Essen.
Von Katrin Koster
Aggressive Lymphome – umgangssprachlich bekannt als Lymphdrüsenkrebs – sind hierzulande die fünfthäufigste Krebs-Todesursache. Lässt sich ihre Behandlung durch zelluläre Immuntherapie verbessern? Das erforscht das Team um Prof. Dr. Christian Reinhardt in der Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation. Es entwickelt zudem weitere interdisziplinäre Therapiekonzepte und neue Verfahren.
In einem Satz, wie funktioniert die neuartige Immuntherapie? „Wir sprechen hier von lebenden Medikamenten, die gezielt an die Krebszellen andocken und als Killerzellen gegen sie vorgehen“, antwortet Christian Reinhardt, Professor für Innere Medizin (Hämatologie). Bei diesem Ansatz werden von Krebspatient:innen ähnlich wie bei einer Blutspende T-Zellen (T-Lymphozyten) entnommen und ganz individuell gentechnisch modifiziert: Im Labor bekommen sie ein Oberflächenmolekül, das später im Körper an Lymphomzellen bindet, den sogenannten chimären Antigen-Rezeptor (CAR). Dadurch können die genetisch veränderten T-Zellen die Lymphomzellen im Körper der Erkrankten abtöten.
Das komplexe Verfahren dauert zwei bis fünf Wochen – je nachdem, wie viel Zeit zwischen der Entnahme und der Re-Infusion liegt. Noch ist die Methode recht aufwändig und mit jeweils ca. 300.000 Euro ziemlich teuer; sie wird nicht immer von den Krankenkassen übernommen. Doch die Erfolge sprechen für sich, und die Prozesse werden in den kommenden Jahren verfeinert. Momentan werden diese CAR-T-Zellen insbesondere bei Lymphomen, Myelomen und akuten Leukämien angewendet.
„Gemeinsam mit den Teams aus der Inneren Klinik (Tumorforschung) und der Hautklinik analysieren wir im Rahmen von klinischen Studien, ob die zellulären Immuntherapien später auch bei soliden Tumoren wie beispielsweise dem Bronchialkarzinom oder dem Melanom eingesetzt werden könnten“, berichtet der Mediziner.
Reinhardt will noch mehr Menschen helfen, die an Krebs – etwa in den Lymphknoten, den Mandeln und der Milz erkrankt sind. Deshalb baut der 46-Jährige gerade die Lymphom-Abteilung am Universitätsklinikum Essen (UK Essen) aus, stellt noch mehr Expert:innen ein.
B-Zellen sind die Antikörperfabriken des Körpers. Jede gebildete B-Zelle trägt eine individuelle Sequenz des B-Zell-Rezeptors (BZR), die sie nur mit ihren durch Zellteilung entstandenen Nachkommen teilt. Da bei einem bösartigen Lymphom alle Zellen von einer einzigen entarteten Zelle abstammen, tragen folglich alle Tumorzellen die gleiche BZR-Sequenz. Die Grafik zeigt das BZR-Repertoire eines solchen Lymphoms. Jeder Kreis steht für eine Anzahl an Zellen mit identischem BZR – je größer der Kreis, desto mehr Zellen tragen den gleichen Rezeptor. Der große blaue Kreis repräsentiert eine dominante Population von Zellen mit identischer BZR-Sequenz. Hier ist also eine einzelne Zelle dramatisch expandiert und lässt auf einen bösartigen Vorgang schließen. Ebenfalls blau eingefärbt sind einzelne Sequenzen, die zwar nicht identisch, allerdings der Tumor-Sequenz so ähnlich sind, dass sie zur Krebs-Population gehören. Die grauen Kreise stehen ebenfalls für individuelle BZR-Sequenzen, sie symbolisieren daher gesunde Zellen.
»Wir sprechen hier von lebenden Medikamenten, die gezielt an die Krebszellen andocken und als Killerzellen gegen sie vorgehen.«
Prof. Dr. Christian Reinhardt
KLINIK UND LABORE
Besonders herausfordernd bleibt, dass sich Tumoren weiterentwickeln: Auch sie stehen in ihrer Evolution nicht still und sind sehr heterogen. Da hilft es, wenn Erfahrungen aus der Klinik und dem Labor zusammenfließen. Das Team hier am Westdeutschen Tumorzentrum (WTZ) umfasst viele engagierte Köpfe: 50 Ärzt:innen arbeiten mit dem Pflegepersonal auf den Stationen, 15 Menschen im Forschungslabor, bis zu 15 Beschäftigte im Diagnostiklabor und etwa 10 Personen bringen die Pharmastudien voran.
Eine der Arbeitsgruppen hat ein neues Mausmodell entwickelt, mit dem sich die Vorgänge in den menschlichen Zellen noch besser nachvollziehen lassen. „So können wir präziser ermitteln, welche Lymphome auf welche CAR-Ts ansprechen“, beschreibt der Mediziner die Schritte, mit denen die chimären Antigen-Rezeptor-Zellen noch besser charakterisiert werden. All das trägt dazu bei, individualisierte Therapieansätze zu entwickeln und präklinische Daten zu generieren.
„Unser genetischer Blickwinkel unterscheidet uns von anderen Kliniken. Und auch wenn wir an der Immuntherapie bereits seit Jahren arbeiten, haben unsere Projekte neue Aufmerksamkeit bekommen, seit 2018 der Nobelpreis für die Entdeckung von Immuncheckpoints verliehen wurde.“ Seitdem wird noch umfassender erforscht, wie sich das eigene Immunsystem gegen den Tumor aktivieren lässt.
Daneben gibt es weitere Krebstherapien, die ohne Chemotherapie wirken können. So sind bei verschiedenen chronischen und akuten Leukämien bestimmte Tabletten erfolgreich, die keine DNA-schädigende Wirkung entfalten – also das Normalgewebe schonen – und in die Kommunikation zwischen den Zellen eingreifen. Sie erweitern heute bereits die Überlebenschancen von Monaten auf Jahre.
AUSGEZEICHNET
Für seinen Beitrag in der Grundlagenforschung, Krebs besser zu verstehen und daraus neue Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln, wurde Prof. Dr. Christian Reinhardt mit dem Deutschen Krebspreis 2023 in der Kategorie „Experimentelle Forschung“ ausgezeichnet. Der Preis der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebsstiftung zählt zu den höchsten Auszeichnungen in der Onkologie und ist mit 7.500 Euro dotiert. Vergeben wird er jährlich in vier Sparten.
KRESBZELLEN VERSTEHEN
Solche neuen chemischen Substanzen zu finden, mit denen sich lebensbedrohliche Krebserkrankungen zielgerichteter bekämpfen lassen – das ist ebenfalls Aufgabe eines neuen Projekts. Es begann vor wenigen Monaten und wird mit 19,4 Millionen Euro von der NRW-Landesregierung gefördert. Die Wissenschaft baut damit unter dem Akronym CANTAR (CANcer TARgeting) europaweit ein einmaliges Netzwerk von Fachleuten aus Chemie, Biologie und Medizin mit auf. Es läuft unter Federführung der Universität Köln bis Juli 2026.
Auch die Universitäten Duisburg-Essen, Dortmund, Düsseldorf, Aachen und Bonn sowie das Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie und das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen sind beteiligt.
„Wenn wir die spezifischen Antriebswege von Krebserkrankungen identifizieren, können wir sie blockieren. Außerdem möchten wir verstehen, wie sich Krebszellen einem Angriff des körpereigenen Immunsystems entziehen können“, sagt Reinhardt, der die Forschungen hierzu am Standort Essen leitet.
Viele Richtungen also, in die die Klinik für Hämatologie und Stammzelltransplantation und ihre Partnerorganisationen gehen. Mit dem gemeinsamen Wunsch, immer weniger Chemotherapien einzusetzen.
HOCHRANGIGE FORSCHUNG
Prof. Dr. Christian Reinhardt leitet Teilprojekte in drei verschiedenen SFBs: im SFB 1430 Molekulare Mechanismen von Zellzustandsübergängen der UDE (Sprecher: Prof. Dr. Hemmo Meyer); darüber hinaus im SFB 1399 Mechanismen der Medikamentenempfindlichkeit und -resistenz beim kleinzelligen Bronchialkarzinomresistenz sowie im SFB 1530 Aufklärung und Targeting pathogener Mechanismen bei B-Zell-Neoplasien. Die beiden Letztgenannten stehen unter der Federführung der Universität Köln, UDE-Professor Reinhardt ist ihr Vizesprecher.
Auch im europaweiten Konsortium ERA PerMed mit Partnern aus Österreich, Frankreich und Italien bringt er seine Expertise ein, um neue Therapien für einen bestimmten Subtyp des aggressiven Lymphoms zu finden. Ebenso gehört er dem BMBF-Konsortium InCa zum Thema Bronchialkarzinom an. Darüber hinaus ist Reinhardt Co-Sprecher des NRW-Netzwerkes CANTAR. Es entwickelt neue Wirkstoffe zur Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen.
Titelbild: Mit der Immunfluoreszenz-Färbung lässt sich die Interaktion von Signalproteinen in einem Lymphom (hier von einer Maus) darstellen: Die DNA ist blau eingefärbt, dadurch sind einzelne Zellkerne erkennbar. Durch eine spezielle biochemische Methode (Proximity Ligation Assay) entstehen rote Färbungen, wenn zwei bestimmte Signalproteine in unmittelbarer Nähe (bis zu 40 Nanometer) zusammenkommen und offenbar interagieren. | © AG Reinhardt